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Aufsichtspflicht während einer Ferienfreizeit: Veranstaltungsleiter trifft Haftung bei kindlichem Messerunfall

Familie & Vorsorge 21. August 2019
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carlos101 / stock.adobe.com

Ferienfreizeiten in der freien Natur sind für Kinder schön und lehrreich. Das sollen sie auch sein. Allerdings sind sie nicht immer ganz ungefährlich. Die Veranstalter haben eine verschärfte Belehrungs- und Aufsichtspflicht.

Der Stadtjugendring Ingolstadt veranstaltete in den Faschingsferien 2014 eine Freizeit an einem Jugendbildungshaus an einem Baggersee mit dem Titel „Abenteuer Winterwald“. Angeboten wurden laut Programm „Feuer machen, Unterschlupf bauen, Spuren lesen“. Einer 9-Jährigen, die an der Jugendfreizeit teilnahm, wurde dabei ein Klappmesser übergeben. Damit wollte sie Rinde von Birken abschälen, um Feuer zu machen. Dabei rutschte sie ab, das Messer geriet ihr in das rechte Auge. Sie erlitt eine perforierende Hornhaut-Iris-Linsenverletzung, die mehrfach operiert werden musste. Das rechte Auge ist dauerhaft geschädigt.

Es kam zum Prozess um Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen den Veranstaltungsleiter und den Bayerischen Jugendring. Die gesetzliche Vertreterin des Kindes, die Mutter, trug vor, weder bei der Anmeldung noch später darüber aufgeklärt worden zu sein, dass auf der Veranstaltung mit Messern hantiert wird. Eine Belehrung des Kindes selbst habe sich darauf beschränkt, wie das Auf- und Zuklappen des Messers funktioniert.

Die Beklagten waren dagegen der Auffassung, dass anhand des Programms von vornherein der Messereinsatz ersichtlich gewesen ist. Das Kind sei auch ausreichend in den Gebrauch des Messers eingewiesen worden. Den Unfall könne man sich nur durch einen anweisungswidrigen Umgang mit dem Messer erklären. Die Kinder seien ausreichend überwacht worden. Zudem seien sämtliche Vorgaben und Mindeststandards eingehalten worden – bis hin zum Betreuungsschlüssel, der sogar besser war als vorgeschrieben.

Vor dem Oberlandesgericht München bekam das Kind recht. Zu einen müsse zwar zugunsten von Kindern ein strenger Sicherheitsmaßstab angelegt werden. Zum anderen sei aber auch klar, dass ein vollständiges Maß an Sicherheit nicht erreichbar ist und Kinder im Alter von sieben bis acht Jahren schon ein gewisses Maß an Selbständigkeit haben und nicht „auf Schritt und Tritt“ überwacht werden müssen. Das Oberlandesgericht hielt es deshalb grundsätzlich nicht pflichtwidrig, Kindern im Alter von 7 bis 12 Jahren im Rahmen einer Freizeit ein Schnitzmesser in die Hand zu geben.

Dennoch  ging das Gericht hier von einem Haftungsfall aus. Den Kindern sei zwar der Umgang mit Messern generell (Zuklappen beim Laufen, Schnitzen vom Körper weg) erklärt worden. Der 9-Jährigen sei aber nicht gezeigt worden, wie Rinde abzuschälen sei. Hinzu kam, dass das Kind in dieser Situation allein gewesen ist. Allein der Hinweis, vom Körper weg zu schnitzen, sei nicht ausreichend gewesen. Bei einem Baum ginge das nicht. Man hätte den Kindern vielmehr erklären müssen, dass ein Messer hierfür ungeeignet ist. Als die Betreuer erkennen konnten, was das Kind mit dem Messer vorhatte, hätten sie es somit entweder belehren oder zum Baum begleiten müssen, um ihm zu zeigen, wie es geht.

OLG München, Urteil vom 29.7.2019, 21 U 2981/18