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Randalierender Fluggast kann »außergewöhnlicher Umstand« sein

Reisen & Urlaub 21. Juli 2020
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stockphoto mania / stock.adobe.com

Verspätet sich ein Flug wegen eines Randalierers an Bord erheblich, muss die Airline keine Entschädigung an die Passagiere zahlen. In diesem Fall kann die Fluggesellschaft ihre Haftung mit Hinweis auf »außergewöhnliche Umstände« verweigern.

Ein Passagier verlangte von der portugiesischen Fluggesellschaft TAP eine Entschädigung nach der EU-Fluggastrechteverordnung. Sein Anschlussflug startete mit erheblicher Verspätung. Fluggäste haben in der EU in der Regel Anspruch auf Entschädigung, wenn sich die Ankunft um drei Stunden oder mehr verzögert. Die Höhe der Ausgleichszahlung hängt von der Flugstrecke ab (d.h. je nach Entfernung gibt es zwischen € 250 und € 600,-).

Die TAP verweigerte die Ausgleichsleistung und berief sich auf »außergewöhnliche Umstände«. Grund für die Verspätung sei, dass die Maschine wegen eines randalierenden und aggressiven Passagiers, der die Sicherheit an Bord bedrohte, ungeplant zwischenlanden musste.

Der Europäische Gerichtshof gab der Fluggesellschaft Recht: Ein Randalierer an Bord, der eine Zwischenlandung erzwingt, gilt als »außergewöhnlicher Umstand«. Mit einer derartigen Bedrohung der Flugsicherheit ist normalerweise nicht zu rechnen. Das Verhalten des Mannes war nicht beherrschbar, seine Reaktion auf die Anweisungen der Besatzung nicht vorhersehbar. Zudem sind die Möglichkeiten der Crew an Bord eines Flugzeugs eingeschränkt.

Weitere Voraussetzungen für das Vorliegen eines »außergewöhnlichen Umstands« sind:

  • das Verhalten des Fluggastes durfte nicht schon bis Zeitpunkt des Boarding auffallen (z.B. lagen Anzeichen für Verhaltensauffälligkeiten vor und hatte die Airline früher eingreifen können). Das Berufen auf »außergewöhnliche Umstände« ist folglich ausgeschlossen, wenn der Fluggast trotz Verhaltensstörungen an Bord gehen durfte.
  • Geprüft werden muss im Einzelfall, ob tatsächlich ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Vorfall an Bord des vorangegangenen Flugs sowie der Verspätung oder Annullierung eines späteren Flugs vorliegt.
  • Außerdem darf die Situation nicht vom Personal (mit-)verschuldet worden sein.
  • Schließlich muss die Airline alle ihr zur Verfügung stehenden und zumutbaren Mittel einsetzen, um eine frühere Beförderung der betroffenen Passagiere zu ermöglichen (z.B. Umbuchung auf verfügbare frühere Flüge, die nicht vom eigenen Unternehmen oder derselben Fluggesellschaftsallianz angeboten werden). Nicht ausreichend ist, dem betroffenen Fluggast lediglich den nächsten eigenen Flug anzubieten, der erst einen Tag später ankommt.

EuGH, Urteil vom 11.6.2020, C-74/19