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Wann eine Patientenverfügung für alle Beteiligten bindend ist

Familie & Vorsorge 11. Januar 2019
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Stockwerk-Fotodesign / stock.adobe.com

Eine wirksame und verbindliche Patientenverfügung muss möglichst konkret sein. Allerdings dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Künftige Krankheiten und medizinischer Fortschritt sind nicht immer vorhersehbar.

Eine 1940 geborene Frau erlitt im Mai 2008 einen Schlaganfall und befindet sich seit einem hypoxisch bedingten Herz-Kreislaufstillstand im Juni 2008 in einem wachkomatösen Zustand. Sie wird seitdem über eine Magensonde künstlich ernährt und mit Flüssigkeit versorgt.

Bereits im Jahr 1998 hatte die Frau eine Patientenverfügung unterschrieben. Darin hatte sie festgelegt, dass unter anderem dann, wenn keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht oder aufgrund von Krankheit oder Unfall ein schwerer Dauerschaden des Gehirns zurückbleibt, „lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben“ sollten. Zwischenzeitlich bis zu ihrem Schlaganfall hatte die Frau mehrfach gegenüber Familienangehörigen und Bekannten angesichts zweier Wachkoma-Patienten aus ihrem persönlichen Umfeld geäußert, sie wolle nicht künstlich ernährt werden, sie wolle nicht so am Leben erhalten werden, sie wolle nicht so daliegen, lieber sterbe sie. Sie habe deshalb durch eine Patientenverfügung vorgesorgt, damit ihr das nicht passieren könne. Kurz nach ihrem Schlaganfall konnte sie sich noch einmal trotz Trachealkanüle sprechen und äußerte dabei gegenüber ihrer Therapeutin, sterben zu wollen.

Im Jahr 2012 wurden der Sohn und der Ehemann der Frau zu jeweils alleinvertretungsberechtigten Betreuern bestellt. Der Sohn ist, im Einvernehmen mit dem bis dahin behandelnden Arzt, seit 2014 der Meinung, die künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr solle eingestellt werden. Dies entspreche dem in der Patientenverfügung festgehaltenen Willen seiner Mutter. Der Ehemann lehnt dies ab.

Das angerufene Amtsgericht lehnte den Antrag des Sohnes auf Genehmigung der Einstellung der künstlichen Ernährung und Flüssigkeitszufuhr ab. Zu Unrecht, da laut Bundesgerichtshof eine wirksame Patientenverfügung vorliege. In diesem Fall habe der Patient selbst die Entscheidung getroffen, die alle Beteiligten binde. Werde das Betreuungsgericht dennoch angerufen, weil eine der beteiligten Personen Zweifel an der Bindungswirkung einer Patientenverfügung habe und komme das Gericht zu dem Ergebnis, dass eine wirksame Patientenverfügung vorliege, dürfe es nicht darüber entscheiden. Das Betreuungsgericht habe vielmehr  auszusprechen, dass eine gerichtliche Genehmigung nicht erforderlich ist (sog. Negativattest).

Das setze wiederum voraus, dass sich anhand der Patientenverfügung feststellen lässt, in welcher Behandlungssituation welche ärztlichen Maßnahmen durchgeführt werden bzw. unterbleiben sollten. Die Anforderungen an die Bestimmtheit einer Patientenverfügung dürften dabei nicht überspannt werden. Vorausgesetzt werden kann nur, dass der Betroffene umschreibend festlegt, was er in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation wünsche und was nicht. Maßgeblich sei nicht, dass „der Betroffene seine eigene Biografie als Patient vorausahnt und die zukünftigen Fortschritte in der Medizin vorwegnehmend berücksichtigt“. Nicht ausreichend seien dagegen allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten sei. Selbst die Äußerung, „keine lebenserhaltenden Maßnahmen“ zu wünschen, enthalte für sich genommen keine hinreichend konkrete Behandlungsentscheidung.

Im Einzelfall könne sich die erforderliche Konkretisierung bei einer weniger detaillierten Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen durch die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen ergeben. Ob in solchen Fällen eine hinreichend konkrete Patientenverfügung vorliege, sei dann durch Auslegung der Patientenverfügung zu ermitteln. Im aktuellen Fall sah es das Gericht aufgrund des vorliegenden Gutachtens die Patientenvefügung als ausreichend an Die Frau habe die medizinische Situation, dass bei ihr keine Aussicht auf Wiedererlangung des Bewusstseins besteht, hinreichend konkret beschrieben. Ihre Patientenverfügung sei deshalb für ihre gegenwärtige Lebenssituation wirksam und deshalb bindend.

BGH, Beschluss vom 14.11.2018, Az.XII ZB 107/18