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Vertrag mit Erblasser: Feststellung der Geschäftsfähigkeit allein durch Notar hat geringen Beweiswert

Erben & Schenken 13. April 2022
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Kzenon / stock.adobe.com

Notare sind keine Ärzte. Deshalb kann man nicht darauf vertrauen, dass ein Vertrag hält, auch wenn der Notar von der Geschäftsfähigkeit der Vertragspartner überzeugt ist und eine Beurkundung vornimmt.

Ein Mann machte gegen seinen Halbbruder, der den gemeinsamen Vater allein beerbt hatte, Pflichtteilsansprüche geltend. Dieser verweigerte die Zahlung. Der verstorbene Vater hatte mit seinem enterbten Sohn 1996 einen notariellen Vertrag geschlossen, in dem dieser auf sein gesetzliches Erb- und Pflichtteilsrecht verzichtet hatte. Der enterbte Sohn war der Ansicht, der Vertrag von 1996 sei durch einen Aufhebungsvertrag von 2009 gegenstandslos geworden. Sein Bruder trug dazu vor, der Vater sei zu diesem Zeitpunkt bereits an einer mittelschweren Demenz erkrankt und geschäftsunfähig gewesen. Der enterbte Sohn sah das anders. Der beurkundende Notar habe sich von der Geschäftsfähigkeit des Vaters überzeugt. Bei Zweifeln daran hätte der Notar schließlich keine Beurkundung vornehmen dürfen.

Das Gericht gab dem Erben recht. Zum Zeitpunkt des Aufhebungsvertrags sei der damals bereits 86-jährige Vater nicht mehr geschäftsfähig gewesen. Eine Vernehmung des beurkundenden Notars hielt das Gericht für nicht erforderlich. Der enterbte Sohn habe schon nicht dargelegt, wie sich der Notar vor oder bei der Beurkundung von der Geschäftsfähigkeit des Erblassers überzeugt habe. Die vorliegende Vertragsurkunde bestehe nur aus einer Seite. In der wenige Sätze umfassenden Beurkundung finde sich kein Vermerk dazu, dass der Notar sich zuvor von der Geschäftsfähigkeit des Erblassers überzeugt oder diese in irgendeiner Weise festgestellt hat.

Hinzu komme, dass ein Notar allenfalls über eine gewisse Berufserfahrung bei der Feststellung der Geschäftsfähigkeit verfügt. Er habe als Jurist nicht das notwendige medizinische Fachwissen, um das Ausmaß einer Demenzerkrankung und damit eine noch vorhandene Geschäftsfähigkeit einschätzen zu können. Deshalb sei den Aussagen von Personen, die zur Zeit der Vornahme des in Rede stehenden Rechtsgeschäfts mit der betroffenen Person in sozialem Kontakt standen, mangels fachlicher Qualifikation zur Beurteilung der medizinischen Voraussetzungen zur Frage der Geschäftsfähigkeit grundsätzlich kein besonderer Beweiswert zuzumessen.

OLG Hamm, Urteil vom 13.7.2021, 10 U 5/20