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Arbeitszeit muss künftig erfasst werden

Arbeitnehmer & Auszubildende 30. November 2022
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Quality Stock Arts / stock.adobe.com

Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts sind Firmen verpflichtet, die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter systematisch zu erfassen. Das gilt bereits jetzt – und zwar für alle deutschen Unternehmen.

Die aktuelle Entscheidung des BAG

Ein Betriebsrat hatte unter Berufung auf sein Initiativrecht die Einführung einer Arbeitszeiterfassung gefordert und deshalb die Einigungsstelle angerufen.

Das Bundesarbeitsgericht wies die Klage ab: Ein entsprechendes Mitbestimmungsrecht nach § 87 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) besteht nur, wenn und soweit die betriebliche Angelegenheit nicht schon gesetzlich geregelt ist. Dies ist aber bereits der Fall und ergibt sich aus dem Arbeitsschutzgesetz (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG); vgl. unten).

Danach muss ein Arbeitgeber zur Sicherung des Gesundheitsschutzes »für eine geeignete Organisation sorgen und die erforderlichen Mittel bereitstellen«. Mit Blick auf die Arbeitszeit bedeutet dies, dass er verpflichtet ist, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Dies ergebe sich aus einer europarechtskonformen Auslegung der genannten Vorschrift.

BAG, Beschluss vom 13.9.2022, 1 ABR 22/21

Der Hintergrund des EuGH-Urteil aus dem Jahr 2019

Die Grundrechtecharta der Europäischen Union und die Arbeitszeitrichtlinie verpflichten zur Erfassung der gesamten Arbeitszeit. Denn ohne Arbeitszeiterfassungssystem kann nicht gewährleistet werden, dass Höchstarbeits- und Ruhezeiten eingehalten werden.

Zudem ist es für Arbeitnehmer ohne Zeiterfassung schwierig oder gar praktisch unmöglich, ihre Rechte durchzusetzen (z.B. Nachweis der geleisteten Arbeitsstunden oder Überstunden).

Folge: Danach muss der Arbeitgeber durch die jeweiligen Mitgliedstaaten verpflichtet werden, ein »objektives, verlässliches und zugängliches System« zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter einzuführen (EuGH, Urteil vom 14.5.2019, C-55/18).

Diese EuGH-Entscheidung ist eine Vorgabe an die Gesetzgeber der Mitgliedstaaten, entsprechende Gesetze für die Umsetzung einer Zeiterfassung nach Maßgabe des EuGHs zu erlassen.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs sieht dazu vor, dass das System nachvollziehbar und fälschungssicher sein soll. Weiter soll es dem Arbeitgeber möglich sein, die Dokumentation der geleisteten Arbeitszeiten auf die Arbeitnehmer zu delegieren. Im Rahmen dieser Maßgaben darf jeder Staat über das konkrete System selbst entscheiden und dabei jeweilige Besonderheiten des eigenen Arbeitsmarktes berücksichtigen.

Deutscher Gesetzgeber bislang untätig

Der deutsche Gesetzgeber hat noch nicht an der Neuregelung des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) gearbeitet. Hier gilt:

  • In Deutschland sind Unternehmen bislang gesetzlich nicht verpflichtet, die genauen Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer zu dokumentieren.

    Ausnahme: In bestimmten Berufsgruppen (z.B. geringfügig Beschäftigte nach dem Mindestlohngesetz) oder Branchen (z.B. Baugewerbe, Gastronomie) werden bereits Arbeitszeiten erfasst, um Schwarzarbeit zu verhindern.

  • Darüber hinaus muss die Arbeitszeit von Arbeitnehmern dokumentiert werden, die an Sonn- und Feiertagen arbeiten oder die Überstunden machen (d.h. mehr als acht oder in Ausnahmefällen zehn Stunden am Tag arbeiten; § 16 Abs. 2 Satz 1 ArbZG).

Bedeutung des aktuellen BAG-Urteils für die Praxis

Laut BAG gilt die Vorgabe zur Erfassung der Arbeitszeit ab sofort. Arbeitgeber müssen so schnell wie möglich ein passendes System einführen. Denn das Arbeitsschutzgesetz, auf das sich das BAG bezieht (vgl. oben), gilt für alle Arbeitnehmer. Ausgenommen sind Selbstständige, leitende Angestellte oder Geschäftsführer sowie Hausangestellte in privaten Haushalten.

Allerdings gibt es aktuell keine klaren Vorgaben, wie die Arbeitszeit künftig dokumentiert werden soll. Das aktuelle Arbeitszeitgesetz gibt keine bestimme Form der Zeiterfassung vor, sie kann also handschriftlich oder auch elektronisch festgehalten werden. Ebenso ist nicht geklärt, wie etwaige Konfliktfragen zu lösen sind (z.B.: Was gilt bei vereinbarter Vertrauensarbeitszeit?).

Entsprechende Leitlinien ergeben sich nicht aus der EuGH-Entscheidung (vgl. oben). Die Urteilsgründe des BAG sind derzeit noch nicht veröffentlicht. Daraus könnten sich möglicherweise Kriterien ableiten lassen. Die weitere Entwicklung des erforderlichen Gesetzgebungsprozesses bleibt abzuwarten.