Direkt zum Inhalt

Erschließungsbeiträge dürfen nicht ewig erhoben werden

Wohnungseigentum & Grundbesitz 27. April 2022
Image

Gundolf Renze / stock.adobe.com

Eine Landesvorschrift, die Erschließungsbeiträge nach Fertigstellung zeitlich unbegrenzt erhebt, verstößt gegen das Gebot der Belastungsklarheit. Ein Grundstückseigentümer darf nicht endlos an den Baukosten einer Straße beteiligt werden.

Eine Regelung im rheinland-pfälzischen Kommunalabgabengesetz wurde vom Bundesverwaltungsgericht moniert. Das Gesetz sieht eine 4-jährige Verjährungsfrist vor, die erst mit der Widmung der Straße zu laufen beginnt. Das Gericht hatte eine Prüfung der entsprechenden Landesvorschrift angestoßen.

Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Grundstückseigentümer sollte Erschließungsbeiträge in Höhe von mehr als € 70.000,- bezahlen. Seine Grundstücke in einem Gewerbegebiet hatten bereits im Jahr 1986 eine Straßenanbindung bekommen. Den finalen Beitragsbescheid erhielt er allerdings erst 2011 – also 25 Jahre später. In voller Länge fertiggestellt und offiziell dem öffentlichen Verkehr gewidmet wurde die Straße im Jahr 2007.

Dagegen erhob der Mann Klage. Diese blieb vor dem Verwaltungs- und dem Oberverwaltungsgericht überwiegend erfolglos. In der Revision setzte das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren schließlich aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vor.

Das BVerfG verwarf die Regelung in Rheinland-Pfalz als verfassungswidrig: Erschließungsbeiträge für Straßen oder andere Infrastruktur können zeitlich nicht unbegrenzt erhoben werden. Es ist nach Auffassung der Verfassungsrichter unzulässig, Grundstückseigentümer dauerhaft im Unklaren darüber zu lassen, ob noch mit Belastungen zu rechnen ist. Das folgt aus dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und der Belastungsvorhersehbarkeit.

Folge: Grundstückseigentümer dürfen nach der Fertigstellung einer Straße oder anderer Anlagen von der Kommune nur für begrenzte Zeit über sogenannte „Erschließungsbeiträge“ an den Baukosten beteiligt werden (vgl. Beitrag 7a/4).

Maßgeblich muss demnach der Zeitpunkt sein, zu dem für den einzelnen Grundstückseigentümer der Vorteil entsteht. Dieser sei für die Betroffenen erkennbar.

Eine konkrete zeitliche Höchstgrenze gaben die Verfassungsrichter jedoch nicht vor. Der Gesetzgeber hat einen weiten Spielraum. Eine Frist von 30 Jahren, wie sie manche Gerichte bisher aus dem Verwaltungsverfahrensgesetz abgeleitet hatten, ist jedoch eindeutig zu lang. Andere Bundesländer haben sich für Fristen von zehn bis 20 Jahren entschieden (z.B. Bayern, Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen). In anderen Ländern bestehe keine ausdrückliche Regelung.

BVerfG, Beschluss vom 3.11.2021, 1 BvL 1/19

Anmerkung der Redaktion:

In Rheinland-Pfalz muss bis 31.7.2022 eine Neuregelung getroffen werden. Bis dahin dürfen Gerichte und Verwaltungsbehörden die verfassungswidrige Norm nicht mehr anwenden. Von der Änderung profitieren alle Grundstückseigentümer im Land, deren Bescheide über die Erschließungsbeiträge noch nicht bestandskräftig sind.