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Zum Zugang einer Kündigung: Wann schauen Sie in Ihren Briefkasten?

Arbeitnehmer & Auszubildende 26. November 2019
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benjaminec / stock.adobe.com

Eine Kündigung, die in den Hausbriefkasten des Arbeitnehmers eingeworfen wird, ist »zugegangen«, wenn der Arbeitgeber nach der Verkehrsauffassung mit der Leerung des Briefkastens rechnen durfte. Strittig ist, wie diese zu ermitteln ist.

Ein Unternehmen hat seinen Sitz in Baden-Württemberg, ein dort Beschäftigter wohnte im grenznahen französischen Elsass. Der Arbeitgeber kündigte den Mitarbeiter außerordentlich. Er ließ das Kündigungsschreiben durch einen Boten am Freitag, den 27.1.2017, um 13:25 Uhr in den Hausbriefkasten des Mitarbeiters einwerfen.

Dieser erhob am Montag, den 20.2.2017 Kündigungsschutzklage. Ob dies verspätet war und die Kündigung somit wirksam, ist Gegenstand des Verfahrens. Nach § 4 KSchG muss eine Kündigungsschutzklage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim Gericht eingehen.

Ging – wie der Arbeitgeber behauptet –, die Kündigung noch am 27.1.2018 zu, wäre die 3-Wochen-Frist am 17.2.2018 um 00:00 Uhr abgelaufen. Die Klagerhebung erst am 20.2.2018 wäre deshalb verspätet.

Der Arbeitnehmer argumentiert hingegen, er habe seinem Briefkasten am 27.1.2017 nicht mehr geleert. An seinem Wohnort würde die Post vormittags ausgetragen, die Zustellung sei bereits um 11:00 Uhr beendet. Das Kündigungsschreiben habe er deshalb erst am Samstag, den 28.1.2017 in seinem Briefkasten gefunden.

Unterstellt man den Zugang der Kündigung also erst am 28.1.2017, fiel das Fristende für die Kündigungsschutzklage kalendermäßig auf den 18.2.2017. Das war ein Samstag. Laut Gesetz endet die Frist in diesem Fall aber erst am nächsten Werktag – also Montag, den 20.2.2017. Damit hätte der Arbeitnehmer rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben.

Die Vorinstanzen schlossen sich der Auffassung des Arbeitgebers an. Dieser habe nach den gewöhnlichen Verhältnissen und der allgemeinen Verkehrsauffassung damit rechnen dürfen, dass der Gekündigte das Kündigungsschreiben am 27.1.2017 bis 17:00 Uhr zur Kenntnis nimmt.

Das LAG Baden-Württemberg orientiert sich bei dieser Bewertung an einem Normalbürger, der in Vollzeit beschäftigt ist und erst nach Feierabend seine Post durchsieht. Den Zeitpunkt der Beendigung der allgemeinen örtlichen Postzustellung hielten die Richter hingegen für unerheblich. Folge: Die Klage sei deshalb verspätet eingereicht worden, die Drei-Wochen-Frist sei versäumt gewesen.

Dieser Rechtsauffassung widersprach das Bundesarbeitsgericht mit seiner jüngsten Entscheidung. Die Annahme der Briefkastenleerung bis 17:00 Uhr ist willkürlich.

Maßstab der Betrachtung darf nicht nur ein Vollzeitarbeitnehmer sein. Schließlich geht der überwiegende Anteil der Bevölkerung gar keiner Vollzeittätigkeit nach. Zudem leben viele Berufstätige mit anderen Personen zusammen, die auch tagsüber den Briefkasten leeren können.

Darüber hinaus sind stets die Gepflogenheiten am Zustellungsort zu berücksichtigen. Es darf nicht nur auf die Situation in Deutschland abgestellt werden. Es kommt in diesem Fall auf die Zustellungspraxis in Frankreich an.

Der Fall wurde deshalb an die Vorinstanz zurückverwiesen. Das LAG muss Tatsachen zum Zeitpunkt der Leerung von Briefkästen klären (z.B.: Was ist maßgeblich in Frankreich? Was im jeweiligen Departements? Was am Wohnort des Gekündigten? War danach am Tag des Einwurfs – also nach 13:25 Uhr – noch zu erwarten, dass der Briefkasten geleert wird?).

Beweispflichtig dafür, dass das Kündigungsschreibens noch am 27.1.2017 zugegangen ist, ist aber der Arbeitgeber.

BAG, Urteil vom 22.8.2019, 2 AZR 111/19