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Schlägerei unter Schülern: Notwehrhandlung rechtfertigt keinen Schulausschluss

Arbeitnehmer & Auszubildende 20. November 2020
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highwaystarz / stock.adobe.com

Nach einer Schlägerei unter Mitschülern, bei der einer der Schüler lebensgefährlich verletzt wurde, darf der andere nicht von der Schule verwiesen werden, wenn er in Notwehr handelte.

Zwei 14-jährige Schüler waren an einer Bushaltestelle vor ihrer Schule in Streit geraten. Einer der Jungen griff seinen Mitschüler mit mehreren Faustschlägen an. Der Schüler wehrte sich und schlug zurück. Der Schlag traf den ursprünglichen Angreifer am Kopf, sodass dieser zu Boden ging und sich dabei lebensgefährlich verletzte. Der Junge erlitt einen Schädelbruch mit massiven Gehirnblutungen.

Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wegen schwerer Körperverletzung wurde wegen Notwehr eingestellt. Die Schule hielt trotzdem an schulrechtlichen Ordnungsmaßnahmen fest: Sie erteilte dem 14-Jährigen einen Schulverweis.

Der Schüler besucht mittlerweile eine andere Schule. Auf seine alte Schule will er nicht zurück. Er begehrte gleichwohl die Feststellung, dass der Schulausschluss zu Unrecht erfolgte. Für dieses Verfahren beantragte er Prozesskostenhilfe.

Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen gab dafür grünes Licht und prüfte insbesondere das Rechtsschutzbedürfnis des Jungen: Auf die Feststellung, dass der Schulverweis rechtswidrig ist, hat der Schüler einen Anspruch. Denn der Schulausschluss hat sich nicht dadurch erledigt, dass der Schüler an seiner neuen Schule bleiben will. Auf sein subjektives Interesse ist nicht abzustellen. Ein Schulverweis kann vielmehr auch zu einem möglichen späteren Zeitpunkt negative Auswirkungen auf die weitere Schullaufbahn des Jungen haben.

Das Gericht stellte fest, der Schulverweis ist unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. Begründung: Ohne vorherige Androhung ist eine Schulentlassung nur verhältnismäßig, wenn zu einem schweren wiederholten Fehlverhalten des Schülers weitere erschwerende Umstände hinzutreten (z.B. gewalttätiges Handeln oder schweres kriminelles Tun). Solche Umstände hat die Schule jedoch nicht festgestellt.

Die Schule hat ihre Sorgfaltspflicht verletzt. Sie hat den Sachverhalt nicht umfassend und zeitnah aufgeklärt und ihre Ermittlungen nicht sorgfältig dokumentiert. Der Hergang der Schlägerei blieb unberücksichtigt und dem Schüler wurde ein Mitverschulden vorgehalten, ohne dies konkret belegen zu können. Der Schüler handelte vielmehr in einer Abwehr- bzw. Notwehrsituation. Er war zunächst nachweislich selbst vom später Schwerverletzten angegriffen worden. Ihm ist insoweit kein gravierendes Fehlverhalten vorzuwerfen. Folge: Die Schule muss den Schulverweis zurücknehmen.

OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.9.2020, 19 E 477/20